Wir brauchen eine Garantie des Rentenniveaus bis 2040

Veröffentlicht am 22.08.2018 in Bundespolitik
Im Interview erläutet SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles, MdB die Rentenpläne der SPD-Fraktion und ihre Vorschläge zur Abschaffung verschärfter Sanktionen bei jungen Hartz-IV-Empfängern.

 

Vizekanzler Olaf Scholz will ein Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes bis 2040 garantieren. Im Koalitionsvertrag ist bisher nur von 2025 die Rede. Wie soll das ohne Beitrags- und Steuererhöhungen gehen?

Nahles: Viele Menschen in Deutschland machen sich zu Recht Sorgen, dass der Wert ihrer Altersrente im Vergleich zu den Löhnen sinkt. Denn das lässt die geltende Rechtslage zu. Wir sind in die Regierung gegangen, um dies zu ändern. Noch im August wird Arbeitsminister Heil ein Gesetz ins Kabinett bringen, mit dem wir dafür sorgen, dass die Renten in Zukunft wieder genauso stark steigen wie die Löhne. Denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich auf eine stabile Rente verlassen können, wenn sie in den Ruhestand gehen.

Diese Sicherheit geben wir ihnen nun bis 2025. Dafür haben wir hart gekämpft! Leider wollte die Union in den Koalitionsverhandlungen das Rentenniveau noch nicht über das Jahr 2025 hinaus sichern. Daher haben wir die Rentenkommission eingesetzt, die weit über 2025 hinausblicken muss. Für die SPD-Fraktion ist aber jetzt schon völlig klar: Wir brauchen eine Garantie des Rentenniveaus auf dem heutigen Niveau bis 2040.

Nicht nur die Wirtschaft, auch die Unionsparteien üben deutliche Kritik und halten solche Pläne für unfinanzierbar …

Ich kenne das schon. Es sind stets dieselben Wirtschaftsvertreter für die bessere Sozialleistungen immer unfinanzierbar und mehr Arbeitnehmerrechte immer Bürokratie sind …

Experten rechnen mit zusätzlichen Belastungen in Milliardenhöhe. Woher soll das Geld kommen?

Die zentrale Frage ist: Wollen wir sichere Renten oder nicht? Es ist eine politische Entscheidung, wie wir unsere finanziellen Möglichkeiten verteilen. Wofür wollen wir unser Geld ausgeben? Denn das ist nicht zum Nulltarif zu haben, das ist klar. Wir müssen sagen, wieviel uns eine stabile Rente auch für die künftigen Generationen wert ist. Es muss Planungssicherheit für jene, die heute Beiträge zahlen und in 20, 30 Jahren selbst Rente beziehen wollen. Ein gutes Leben im Alter ist Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Deshalb wollen wir mehr Steuermittel für die Rente in die Hand nehmen. Wir brauchen einen Mix aus stabilen Beiträgen und Steuerzuschüssen. Finanzminister Olaf Scholz hat bereits einen Demographie-Fonds als Rücklage angelegt, um die zusätzlichen Belastungen bei der Rente abzufedern. In den nächsten Wochen und Monaten müssen wir diskutieren, wie ein Finanzierungskonzept aussehen soll, dass stabile Renten auch noch in den 2030er-Jahren ermöglicht. Aber eins steht fest: möglich ist es.

Geht das nicht am Ende vor allem auf Kosten der jüngeren Generationen?

Gerade die jüngere Generation hat einen Anspruch auf eine stabile Rente, die mit den Löhnen steigt. Dafür sorgen wir. Die Rente muss eine feste Säule sein, auf die man zählen kann. Das ist das Kernversprechen unseres Sozialstaats. Auf diese Solidarität müssen Alte und Junge vertrauen können. Deshalb schaffen wir den Neustart für eine stabile Rente.

Finanzminister Scholz droht der Union bereits mit einem Rentenwahlkampf. Gilt das Prinzip nicht mehr, Rentenreformen im Konsens zu verabschieden und möglichst aus dem Wahlkampf herauszuhalten?

Wir führen Debatten über das, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt. Sicherheit im Alter und die Angst vor Altersarmut treibt viele um, Junge wie Alte. Und wer glaubt, man könne kluge Rentenpolitik auf die lange Bank schieben, irrt gewaltig. Wir müssen jetzt die Voraussetzung schaffen für die stabile Rente der nächsten Generationen. Darum setzen wir jetzt unser Konzept für den Neustart in der Rente um. Darüber herrscht in der SPD große Einigkeit. Die Union muss sich noch einmal bewegen. Wenn das nicht geschieht, werden wir uns nicht damit zufrieden geben und die sichere Rente auch über das Jahr 2025 hinaus zum Wahlkampfthema machen ...

Wofür wird dann noch die Rentenkommission gebraucht?

Wir brauchen die Rentenkommission. Sie muss über die Fragen beraten, wie wir die höheren Belastungen durch die Baby-Boomer-Generationen abfedern können, wie wir die digitale Dividende zur Finanzierung unseres Sozialstaates miteinbeziehen. Die Flexi-Rente muss weiter entwickelt werden. Es gibt eine Reihe von Zukunftsfragen in der Rente, die mit der Kommission geklärt werden müssen. Und nicht zuletzt: Es muss ein Konzept entwickelt werden, wie die Sicherheitsgarantien der Rente über das Jahr 2025 hinaus gewährleistet werden können – gerade weil die geburtenstarken Jahrgänge der zwischen 1954 und ‘69 Geborenen erst ab 2024 in Rente gehen werden. Wir haben dazu eine klare Meinung. Die Union muss jetzt Farbe bekennen. Die Menschen brauchen Sicherheit für eine verlässliche Rente, von der sie gut leben können. Das brennt den Menschen unter den Fingernägeln.

Höhere Renten als Gegengift gegen Populisten?

Die Regierung muss jetzt sozialpolitisch liefern. Denn wir hatten eine ernste Regierungskrise, der Streit innerhalb der Union hat alles blockiert. Wir sollten uns jetzt dem zuwenden, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Einer der zentralen Punkte ist die Sicherung des Rentenniveaus. Wenn wir die Sorgen der Menschen angehen und für mehr Sicherheit sorgen, stärkt das den sozialen Frieden.

Ihr Vorschlag, junge Hartz-IV-Empfänger von Sanktionen auszunehmen stößt selbst in den eigenen Reihen auf Kritik. Wäre dies nicht ein falsches Signal?

Mir geht es darum, junge Hartz-IV-Empfänger nicht stärker zu sanktionieren als andere. Das ist kontraproduktiv. Auch die Bundesagentur für Arbeit sieht das übrigens so. Die Sanktionen führen oft dazu, dass sich die jungen Menschen nicht mehr an die Bundesagentur und die Job-Center wenden, die ihnen helfen könnten, den Übergang von Schule zu Beruf zu bewältigen. Sanktionen sind erforderlich, aber verschärfte Sanktionen für junge Empfänger sind nicht hilfreich. Das sollten wir ändern. Die CSU hat bisher die Abschaffung verhindert.

Gewerkschafter und Linkspartei fordern, ganz auf Sanktionen bei Hartz-IV-Empfängern im Falle von Verstößen gegen Mitwirkungspflichten zu verzichten…

Wir stellen die Hartz-IV-Reformen gründlich auf den Prüfstand. Wir schauen uns ohne Scheuklappen genau an, was funktioniert und was nicht. Das verschärfte Sanktionssystem für Jüngere ist ein Beispiel dessen, was sich nicht bewährt hat. Was die Abschaffung aller Sanktionen angeht, bin ich skeptisch. In der offenen Debatte der SPD wird es von mir aber keine Vorfestlegung geben, denn die Partei muss die Debatte führen. Ich bin bereit, mir alles ernsthaft anzuschauen, was auf den Tisch kommt. Wir sollten aufhören, in der Vergangenheit zu wühlen und die Weichen für den Sozialstaat im Jahr 2025 stellen.

Für das Fachkräftezuwanderungsgesetz liegen nun die Eckpunkte vor. Ein „Spurwechsel“ ist darin nicht vorgesehen. Würde das nicht zusätzliche Anreize für Flüchtlinge schaffen, wie die Union befürchtet?

Wir brauchen das Gesetz dringend, denn der Fachkräftemangel wird zum Problem Nummer Eins für unsere Wirtschaft. Natürlich gibt es schon jetzt Möglichkeiten für qualifizierte Ausländer, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Aber die Regeln sind viel zu kompliziert. Da blickt niemand durch, der zu uns kommen möchte. Wir brauchen klar Regeln! Wir wollen ordnen und steuern, damit Zuwanderung leichter und nachvollziehbar wird. Wir brauchen die, die gut integriert sind und einen Arbeitsplatz haben. Der so genannte Spurwechsel ist ein Element, um diese Ziele zu erreichen, und gehört in das Gesetz hinein.

Wird es für die Fachkräftezuwanderung eine Obergrenze geben, um Sorgen vor einer zu starken Arbeitsmigration zu entkräften?

Wir brauchen für die Fachkräftezuwanderung keine gesetzliche Obergrenze. Wie viele Menschen zu uns kommen, hängt am Bedarf der deutschen Wirtschaft. Nur, wer vor der Einreise oder spätestens nach einem halben Jahr Arbeitsuche einen Job vorweisen kann, darf kommen oder bleiben. Aber das hat nichts damit zu tun, ob man aus welchen Gründen auch immer Schutz bei uns sucht. Das Asylrecht bleibt unangetastet.

Und wenn die Wirtschaft stagniert und keine Arbeitskräfte gesucht werden?

Dann werden auch weniger Fachkräfte aus dem Ausland kommen können. Die Zahl der Zuwanderer wächst oder sinkt je nach Bedarf der Wirtschaft.

Sie haben mit Ihrer Forderung, der Türkei in der Wirtschaftskrise zu helfen, viel Kritik geerntet. Würde das nicht Präsident Erdogan und seinen Kurs nicht noch stabilisieren?

Die Wirtschafts- und Finanzkrise in der Türkei ist durch die US-Sanktionen erheblich verschärft worden und kann zur echten Bedrohung werden. Das kann uns in Deutschland nicht egal sein. Die Türkei ist ein wichtiger NATO-Partner. Deutschland und Europa haben ein elementares Interesse an einer wirtschaftlich stabilen Türkei.

Also keine Finanzspritzen der deutschen Steuerzahler für Erdogan?

Davon habe ich nicht gesprochen, hier ist es offenbar in den Köpfen mancher zu freien Assoziation gekommen. Aber ich bin froh, dass es diese Debatte gibt. Über die vielfältigen Aktivitäten deutscher und europäischer Unternehmen, über das Engagement der Europäischen Bank für Wiederaufbau Entwicklung und der Europäische Investitionsbank bestehen äußerst enge wirtschaftliche Beziehungen mit der Türkei. Diese vielfältigen Beziehungen aufrecht zu erhalten und weiter zu festigen liegt im deutschen, europäischen sowie im türkischen Interesse. Ich habe bewusst ein klares Signal gesendet, dass uns das Schicksal der Türkei nicht egal ist. Es ist im europäischen und im deutschen Interesse, dass die Türkei nicht in Turbulenzen gerät, die zur Destabilisierung der gesamten Region führen können.

War es ein Fehler, bei der EU-Mitgliedschaft der Türkei so stark zu bremsen?

Europa ist eine Wertegemeinschaft. Wir haben unsere klare Haltung zu rechtsstaatlichen, demokratischen und menschenrechtlichen Defiziten in Ankara immer deutlich gemacht Darüber kann man nicht hinweggehen.

Der türkische Präsident Erdogan kommt im September zum Staatsbesuch nach Berlin. Die Opposition kritisiert, einem Despoten werde der rote Teppich ausgelegt …

Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung mit der Türkei auf allen Ebenen im Gespräch bleibt. Gibt es eine Alternative zu einer Außenpolitik, die auf Dialog ausgerichtet ist? Nein! Das ist vollkommen klar. Ohne Frage ist die Zusammenarbeit mit der Türkei in den letzten Jahren erheblich schwieriger geworden. Das betrifft nicht nur das deutsch-türkische Verhältnis sondern auch das Verhältnis der Türkei zur NATO und zur Europäischen Union Die Türkei bleibt ein wichtiger Partner. Aber es ist meine klare Erwartung an die Bundeskanzlerin, dass natürlich auch kritische Fragen angesprochen werden – hierzu gehört insbesondere das Festhalten und die Inhaftierung von deutschen Staatsangehörigen in der Türkei.

Die SPD steckt im Umfragetief. Bundesweit 17 Prozent, in Bayern zwölf Prozent. Warum gelingt der Neustart nicht?

Es war mir immer bewusst, dass ich den Parteivorsitz in einer schwierigen Lage übernommen habe. Wir sind in die Regierung eingetreten, um für die Anliegen der ganz normalen Menschen zu kämpfen: Für eine bessere Rente, für eine Begrenzung des Mietenwahnsinns, für bessere Pflege. Ich habe keinen Zweifel, dass wir damit auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen werden.

Ist die SPD als Volkspartei am Ende?

Der Charakter einer Volkspartei definiert sich nicht anhand von Umfrageergebnissen, sondern an ihren Politikangeboten. Es gibt Spartenkanal oder Vollprogramm. Die SPD ist in der Lage, auf alle zentralen Herausforderungen für unser Land kluge Antworten zu geben. Unser Angebot ist das einer Volkspartei, wir konzentrieren uns nicht auf eine bestimmte Klientel. Niemand steht wie die SPD für das Ziel, das solidarische Miteinander in unserem Land zu stärken.

 
 

 

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